Zeltlager 1972 in den Vogesen

(Sonderausgabe des TSV-Vereinsblatts vom August 1972)

"Bon jour - Bon nuit - Au revoir"

Was sicher vor 20 - 30 und noch mehr Jahren ein Abenteuer mit vielen Unbekannten gewesen wäre - nämlich ein Jugendzeltlager im Ausland durchzuziehen - ist heute nur noch eine Frage der Organisation. Und das ist gut so!

Wir sind froh, und unsere nachkommende Jugend sollte bewußt auf diesem Wege weitergehen, heute mit großen Jugendgruppen über Grenzen gehen zu können, die praktisch keine mehr sind.

Also die Zeit war mal wieder reif - die Zeit für unser Jugendzeltlager.
Lieber Leser, vielleicht erinnern Sie sich: Es begann 1965 mit 13 Buben am Seehof. Dort machten wir die ersten Gehversuche. Inzwischen sind wir ein gut funktionierendes "Weltenbummler-Unternehmen" geworden. Wir denken gerne zurück an:
Hochschwarzwald / Gisiboden, Eifel / Holzmaar, Bodensee / Bodman.

In diesem Jahr zogen wir in die Hochvogesen. Die fast hochalpine Landschaft am Lac Blanc sollte uns aufnehmen. Schon die Vorbereitungen (Kontaktaufnahme mit französischen Behörden, Herrichten des Zeltplatzes, Zollformalitäten, Umwechselung D-Mark - Franc, Ausländischer Krankenschein, Transport des gesamten Zelt- und Küchenmaterials) bereicherten unseren Erfahrungsschatz. Als Höhepunkt der Vorbereitungen gingen dann unsere beiden Einführungsabende in französischer Konversation über die Bühne. Herr Serriere, unser französischer Freund, war sichtlich überrascht über die Aufgeschlossenheit unserer Jugend. An dieser Stelle: Großes Kompliment.

Dann war es soweit -

Ein Vorkommando baute die ganze Lagerstadt auf. Der Verein hat wieder tief in die Tasche gegriffen und weitere Schlafzelte und ein Küchenzelt angeschafft; auch die Kücheneinrichtung wurde erweitert.

Am Samstag, 8. Juli, fuhr ein Bus voll erwartungsfroher Buben Richtung Süden. Die Zöllner an der Grenze bei Weissenburg winkten ab, als wir unsere Ausweise vorzeigen wollten.

Bon voyage (also: Gute Fahrt) und ab gings. Über Hagenau, Straßburg, Schletstat ging es auf der Nationalstraße zügig voran. Kurz vor Colmar ging es rechts ab über Kaysersberg - Orbey - hinauf in die Vogesen. Immer steiler wurden die Straßen - immer höher ging es hinauf. Dann hatten wir es geschafft - vorbei am dunkel und etwas unheimlich daliegenden Lac Blanc (Weissen See) erreichten wir die Höhe und unseren Lagerplatz. Bis jeder seinen Stall (sprich: Schlafplatz) hat, ist jedes Mal ein eigenes Erlebnis, aber auch das wurde geschafft. Und schon waren wir "zu Hause".

Und dann ging das Lagerleben los. Wie wir es Ihnen, lieber Leser, in früheren Jahren schon geschildert haben.
Die erste Nacht brachte schon große Aufregungen, aber nicht für die, für die sie gedacht waren:

3 unserer jüngsten Teilnehmer stolzierten durchs Lager wie kleine Cassius Clay. Die großen Buben und ein Lagerverantwortlicher beschlossen: "Die müssen einen Dämpfer bekommen. Heute Nacht gibt es Geisterstunde!"

Und dann kamen um Mitternacht die Geister, um unseren Cassius Clay´s, die Nachtwache hatten, Angst einzujagen; aber diese Rechnung ging nicht auf. Die Nachtwache nahm ihre Prügel fester in die Hände und schlug die "Geister" in die Flucht, daß die Fetzen flogen. Es war eine tolle Schau! Wie am anderen Tage zu erfahren war, ließen sie erst ab, als die Geister um Gnade wimmerten und mit Bestechungsversuchen ihr Heil retteten.

Eine schöne Sache war auch ein Handballnachmittag in La Baroche. Dort wird ein blitzsauberer Handball gespielt und unsere Buben mußten die technische Überlegenheit des Gegners neidlos anerkennen. Der abschließende Umtrunk im Vereinslokal schuf die ersten guten Kontakte und schöne Erinnerungsgaben wurden ausgetauscht.

Wir revanchierten uns mit einer Gegeneinladung an die französischen Buben und ihre Betreuer in unser Lager.
Beim großen Kampf-Geländespiel brauchte man keine Dolmetscher. Die Sprache der Fäuste, selbstverständlich in voller Freundschaft, ist international. Und als beim abendlichen Lagerfeuer Pfälzer Bauernbrot und Hausmacher Wurst und ein guter Schoppen "Birkweiler Keschtebusch" die Runde machte, war die Jumelage (Verbrüderung) komplett. Seit diesem Abend ruft man den Vorstand von La Baroche "Monsieur Lun", das heißt Herr Mond, weil er bei unserem Heimatfilm die Rolle des Mondes hevorragend spielte.

Entweder haben die Buben nicht gut genug gebetet, oder der liebe Gott von Frankreich hat die deutschen Gebete nicht verstanden; jedenfalls trat in der 2. Hälfte des Bubenlagers ein Wettersturz ein, wie wir ihn als Flachlandbewohner nicht kennen. Plötzlich waren wir in den Wolken. Es krachte und blitzte und stürmte; als wir morgens aus den Zelten krochen, war unser Versammlungszelt in die Knie gegangen.

Aber so schnell lassen wir uns die Stimmung nicht vermiesen. Unser Lagerprogramm war bis obenhin angefüllt und Langeweile kam nicht die Spur auf.

Den Damen gegenüber ist man in Frankreich besonders charmant. Sogar der Wettergott erwies seine Referenz an die Schönheit unserer Weiblichkeit - denn das Wetter im Mädchenlager war bis auf den letzten Tag ein Gedicht. Wir konnten jeden Tag im Lac Blanc baden und die Sonnenbäder am Rande des Sees waren ein Genuß.

Auch im Mädchenlager betrieben wir deutsch-französische Verständigung. Die Marie-Odile, die Försterstochter aus Orbey, gehörte ebenso zu unserer Lagerbesatzung wie die Veronique, die Tochter unseres französischen Lehrer-Freundes. Und wenn die Veronique beim morgendlichen Weckruf: Halli-Hallo auf gut pfälzisch antwortete: "Ge morche - ge morche - ge morche", dann war wirklich kein Unterschied zwischen Deutschen und Franzosen feststellbar.

Mit zum Höhepunkt sowohl im Buben- als auch im Mädchenlager gehörte die Grad-Wanderung; auf schmalem Pfad am Abgrund des Lac Blanc entlang zur phantastischen Felsengruppe, am Lac Noir vorbei zur bizarren Landschaft am Etang de Truit. Der Abstieg, auf allen Vieren, in den engen Kessel war schon eine tolle Sache.

So waren die Tage randvoll angefüllt mit Sport, Spiel, Wanderungen, Bastelarbeiten, Geländespielen, Hitparade und natürlich auch Faulenzen. Ein ganz wichtiger Programmpunkt war wiederum Essen und Trinken. Wir sind sicher, daß auf Grund der vertilgten Mengen keine Wünsche offen blieben.

Den einzigen Kampf, den wir nicht bestanden haben, war der Kampf mit den Mücken. Wir vermuten, daß ein böser Feind sämtliche Mückengeschwader an den Lac Blanc beorderte, die in abwechselndem Schichtbetrieb uns den Nerv ziehen wollten. So waren Sprühdosen und Mückencreme ein wichtiger Bestandteil in der täglichen Versorgung.

Sowohl im Buben- als auch im Mädchenlager fanden jeweils Gesangswettbewerbe der einzelnen Zeltbesatzungen statt. Diese Veranstaltungen waren fernsehreif. Wir werden Ihnen, liebe Eltern, bei unserem traditionellen Elternabend im November, Kostproben dieser künstlerischen Auftritte geben.

Auch die Lagerbetreuer ließen sich von diesem künstlerischen Fluidum anstecken und sangen unter anderem:

Die Pfalz hat schöne Dörfer
des schönst ist Wernersberg,
dort gibt es schöne Mädcher
dort unterm Roteberg.

Die schönsten sind im Turnverein
des sieht man jeden Tag.

Ob dünn ob dick, ob groß ob klein
des isch en wahrer Staat.

Die Lager klangen aus, die Zeltstadt mit allem Drum und Dran verschwand Stück für Stück im Bus (erstaunlich, wo das alles hin verschwand).

Und heimwärts ging die Fahrt. Es wurde wieder ruhig dort oben, im Foret de Immerlin hoch über dem Lac Blanc.
Es würde mich nicht wundern, wenn Fuchs und Hasen die Jumelage fortsetzen und inzwischen auf gut deutsch singen, was sie von uns gelernt haben:

Ich bin der Bub vom Maisbachtal ...!

Die Betreuer-Mannschaft: Gläßgen Hermann, Hagenmüller Wilhelm, Hagenmüller Annemarie, Hagenmüller Rolf, Klein Herbert, Klein Helga, Laux Hans, Bachmann Edmund entließ ihre Schäflein mit einem lachenden und einem weinenden Auge und hofft, daß auch dieses Lager 1972 noch lange in guter Erinnerung bleibt.

Edmund Bachmann